Ooops, ich hab grade erst bemerkt, daß ich noch einige wichtige Dinge vergessen hatte, zu kommentieren.
Grundsätzlich gibt es zwar keine einheitliche Reitlehre wie beim klassisch-englischen Reiten, was aber NICHT bedeutet, daß man tun und lassen kann, was man möchte - naja, zumindest nicht, wenn man mit seiner Reiterei einigermaßen erfolgreich sein möchte...
>> wann gibt man denn wirklich hilfen, die im maul ankommen und wofür sind die?
Prinzipiell muß auch jedes Westernpferd in der Lage sein, sämtlichen Zügelhilfen nachzugeben. Folglich muß es auch wiederum jede Menge an Zügelhilfen geben, die dem Pferd bestimmte Reaktionen abverlangen. Tja, und hier kommen wir zu einem der Vorteile, daß es nunmal keine festgelegten Reitlehren gibt: Man kann mit seinen Händen und damit verbundenen Zügeln die verschiedensten Positionen einnehmen! Allerdings sollte man wissen, wozu sie dienen.
Grundsätzlich erkläre ich meinen Reitschülern folgendes:
Alles dreht sich um ein Variables Dreieck, dessen Seiten die Halsoberline, der Kopf (Stirn & Nasenrücken) und der Zügel sind.
Folglich gibt es auch drei Eckpunkte im Dreieck, nämlich den Schnittpunkt, wo Zügel und Halsoberline zusammentreffen, das Genick und das Maul.
Nur eine der drei Seiten ist immer Konstant und physiognomisch nicht veränderbar und das ist der Kopf von Maul bis Genick, während sich je nach Kreuzungspunkt von Zügel und Halsoberline die beiden anderen Seiten des Dreieck variieren lassen.
Geht man nun hin und reitet mit hohen, weit ausgesteckten Armen, so kreuzt der Zügel die Halsoberlinie ungefähr in seiner Mitte. Das Dreieck wird kleiner und der beeinflußbare Teil des Halses schrupft, denn er liegt immer nur zwischen den Schnittpunkten! Nimmt man sich dieses Wissen und die notwendigen erlernbaren Fertigkeiten zunutze, dann kann man durch Variation des Schnittpunktes ganz gezielt auf bestimmte Bereiche und Abschnitte des Halses einwirken und gleichzeitig auch den Winkel zwischen Stirn/Nasenrücken-Seite und Halsoberlinien-Seite verändern.
Durch einseitige Variation von Handhöhe, Seitenabstand zum Hals bzw Widerrist und Zügellänge nimmt man Einfluß auf die Schräglage des Kopfes.
Seitliches Parallelverschieben der Zügel bzw der Hände in dieselbe Richtung, bishin zum eigentlich unerwünschten, zum Training jedoch gelegentlich notwendigen Überkreuzen der inneren Hand über die Wirbelsäulenseite nach außen kann unter Bezug der oben genannten Techniken einzelne Halsabschnitte in der lateralen (seitlichen) Biegung verändern.
Für all dies reicht übrigens ein stinknormales Snaffle (=Wassertrense).
Um den Reiter möglichst gut und Rückenschonend zu tragen, soll das Pferd bemüht sein, möglichst viel Last auf die Hinterhand zu nehmen. Hierdurch greift die Hinterhand weit unter den Körper, die Kruppe senkt sich und völlig automatisch hebt sich der Rücken an. Das liegt in der physiognomischen Natur des Tieres. Regulär wird das Pferd keinen besonderen Sinn in dieser Übung sehen, da sie anfangs noch recht anstrengend ist. Um nun dafür zu sorgen, daß das Pferd freiwillig mitareitet, muß man der Übung einen leicht verständlichen Sinn geben und somit die Motivation des Pferdes erlangen. Am einfachsten geht das über Schwung und Biegung, bestenfalls im Trab: Für den gewünschen Vorschub muß das Pferd mit den Hinterbeinen stärker arbeiten, also nimmt es die Beine automatisch weiter unter den Bauch, um mehr Kraft entfalten zu können. Die regelmäßig abverlangten Biegungen hindern es, wahllos wegzurennen und fordern Verlangsamung und Balance. In der Kombination werden folglich Schubkraft und Unterstützung der Körpers abgefragt, wobei die untergesetzte Hinterhand und der somit aufgewölbte Rücken natürliche Nebenprodukte sind. Damit das Pferd nun vor lauter Schwung oder Kurvenlage nicht umfällt, wird es den Kopf als Balancestange verwenden. Unerfahrene Pferde versuchen es erstmal mit einer hohen Kopfhaltung, merken dann aber recht schnell, daß der tiefe Kopf nicht nur mehr Entspannung ermöglicht, sondern auch in engen Biegungen das einzig wirksame Gegengewicht sein wird. Und voilà, der Kopf ist ebenfalls dort, wo der Reiter ihn haben möchte. Ohne Gezerre, ganz von allein und deshalb auch dauerhaft und entspannt.
Da nun aber die Westernpferde bedauerlicherweise möglichst Schwunglos und flach laufen sollen, scheint für manche Leute dieser dieser Lösungsansatz wegzufallen. Stattdessen piekst man dem Pferd mittels Sporen einfach in den Bauch, die Bauchmuskeln kontrahieren und der Rücken hebt sich. Einen nachvollziehbaren Sinn erkennt das Pferd zwar nicht, aber die Motivation besteht darin, unangenehmes oder gar Schmerzen zu vermeiden und immer schön den Bauch anzuziehen (und dabei leider oft genug zu krampfen).
Nimmt man dabi nun auch noch die Zügel auf, so bremst man den letzen Laufwillen auch noch aus, bzw nimmt dem Pferd die Motivation, voranzulaufen. Bei vielen, schlecht gerittenen Englisch-Pferden endet das ganze im altbekannten Desaster: Vorne wird gezogen, damit der Kopf an die Brust kommt, und hinten wird getrieben, damit das völlig ausgebremste Tier nicht einfach stehenbleibt.
VLG
Horsi
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