Guten Abend, Finchen!
„Ständiges Treiben“ – ständig gelehrt und konstant falsch. EH erklärt ja präzise, warum. Die Sache mit dem „über Tempo reiten“ = Übertourigkeit erklärt sich aus einem falsch verstandenen Begriff des Vorwärts. Dazu später mehr. Ja, falsches Kreuz und falscher Schenkeleinsatz zerstören die Gehlust des Pferdes, den Sitz des Reiters und die Feinheit seiner Einwirkung. Sofern er denn eine hatte. Nein, das simple Vorwärts ist keineswegs simpel, zumindest nicht für die überwiegende Mehrzahl der Reiter. Totgeklopfte Pferde kann man relativ schnell rehabilitieren. Ja, falscher Schenkeleinsatz versteift die Mittelpositur. Ja, vorwärts = schnell, was gnadenlos falsch ist.
Zur Klärung nun die beste Defintion des Vorwärts, die mir bekannt ist. Von wem? Na, vom Altermeister!
Gustav Steinbrecht „Gymnasium des Pferdes“ (15. Aufl., 2004) Seite 77 ff.
„Als erste Hauptgrundsätze der Kunst rufe ich einem jeden Reiter zu:
„Reite dein Pferd vorwärts und richte es gerade!“
Unter diesem Vorwärtsreiten verstehe ich nicht ein Vorwärtstreiben des Pferdes in möglichst eiligen und gestreckten Gangarten, sondern vielmehr die Sorge des Reiters, bei allen Übungen die Schubkraft der Hinterbeine in Tätigkeit zu erhalten, dergestalt, dass nicht nur bei den Lektionen auf der Stelle, sondern sogar bei Rückwärtsbewegungen das Vorwärts, nämlich das Bestreben, die Last vorwärts zu bewegen, in Wirksamkeit bleibt. Man befähige das Pferd durch Übung, seine Schubkraft durch Belastung bis zum Äußersten zu beschränken, man unterdrücke sie aber niemals durch Überlastung! (Man beachte die präzise Definition des „Vorwärts“ von GS! Anm. d. Verf.) Ferner verstehe ich unter der geraden Richtung des Pferdes nicht seine völlig ungebogene Körperhaltung, sondern eine derart vorwärts gerichtete Einstellung seiner Vorhand auf die abzuschreitenden Linien, dass es unter allen Umständen, selbst bei stärkster Biegung seines Körpers und in den Lektionen auf zwei Hufschlägen, mit seinen Vorderfüßen den Hinterfüßen voranschreitet, die ihrerseits wiederum jenen unbedingt folgen, indem sie stets in der Bewegungsrichtung vor und niemals seitwärts dieser Richtung treten. – Durch außer Acht lassen dieser beiden goldenen Regeln aus Unkenntnis oder Nachlässigkeit entstehen in der Dressur alle Fehler, die das Pferd widersetzlich machen und oft sogar zugrunde richten.“
Seite 109 ff. - ... , und fasse am Schluss des Kapitels ihre Grundregeln nochmals kurz zusammen, indem ich zunächst daran erinnere, beim Biegen nicht, wie dies so häufig geschieht, den äußeren Schenkel und inneren Zügel, sondern umgekehrt den inneren Schenkel und äußeren Zügel vorherrschend wirken zu lassen. Diese Hilfen müssen die richtige Haltung des ganzen Körpers, also die gleichmäßige Verteilung der Gewichtsmasse auf alle vier Beine herbeiführen, indem der innere Schenkel das innere Hinterbein dadurch belastet hält, dass er es gegen das äußere treibt, und der äußere Zügel durch seine Wirkung nach innen die Schultern stets so viel nach der gebogenen Seite hin richtet, dass sie der Hinterhand richtig vorgerichtet sind, wodurch das innere Vorderbein belastet bleibt. Ausfallen der Kruppe nach außen vermindert oder hebt die beabsichtigte Biegung zwar mehr oder weniger auf, hinterlässt aber keinen bleibenden, nachteiligen Einfluss, da es dem Pferde nicht die Mittel lehrt, sich durch falsche Biegung zu entziehen. Dies geschieht aber, wenn das Pferd durch zu starke Wirkung des äußeren Schenkels und inneren Zügels in eine schiefe Richtung versetzt wird, wenn also die Hinterhand so gegen die Vorhand gerichtet ist, dass nicht mehr beide Hinterbeine gleichmäßig in Richtung der Schultern wirken. Auf diese Regeln bezüglich Einrichtung von Vor- und Hinterhand und der anderen, dass die Hinterbeine unter allen Umständen ihre ungeschwächte Kraftäußerung nach vorwärts ausüben müssen, beruht eigentlich die ganze Reitkunst.“
Vorwärts reiten, heißt, das Pferd vor den Hilfen zu haben. Selbst im Halten wird vorwärts geritten: das haltende Pferd ist bereit, jeden Augenblick auf die leichtesten Hilfen hin anzutreten. Der Ausdruck „reite mehr vorwärts“ ist der pure Unsinn, der nur beweist, dass der, der ihn gebraucht nicht für einen Cent Ahnung davon hat, wovon er schwätzt. Bleibe bei EH. Setze es um und dir öffnen sich die Tore, wie er ja versichert, die bisher bestenfalls an einem guten Tag einen spaltbreit aufgingen. Aus eigener Erfahrung kann ich versichern: Er hat Recht.
Alles Gute!
EMM
P. S. Mach dir mal Gedanken über den Zusammenhang Durchlässigkeit und Vorwärts. Dann klärt sich vieles.
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