Hey, jetzt sogar mit Bildern. Eins vorweg: Ihr macht nen echt sympathischen Eindruck :-)
Ich bin mal so frei, die Sache nochmal aufzugreifen, hatte den Thread wohl damals nicht mitbekommen, sonst hätte ich schon was geschrieben.
Grundsätzlich bin ich bemüht, so wenig Fachausdrücke wie möglich zu verwenden, weil meine Unterrichtserfahrung sehr deutlich gezeigt hat, daß viele Leute völlig konträre und bisweilen schlichtweg falsche Auffassungen von Begriffen wie "an den Zügel herantreten" oder "über den Rücken laufen" und ganz wichtig "versammelt sein" haben.
Der Großteil aller Reiter reitet das, was er vor sich, VIELLEICHT noch was er unter sich hat. Was hinten passiert, ist egal, das sieht man ja nicht.
Nun ist es aber so, daß die ganze Körperhaltung auf dem korrekten Einsatz der Hinterhand basiert, also dem Teil, den die meisten garnicht reiten (beachten).
Wenn man ein Pferd mit Reiter in seiner Länge abmessen und in der Mitte durchsägen würde, läge das meiste Gewicht auf der Vorderhand. Um diese nun zu entlasten, soll mehr Gewicht auf die Hinterhand verteilt werden, was nur dadurch funktioniert, daß sich die Hinterhufe weiter Richtung Körpermitte unter dem Pferdebauch befinden.
Damit die Beine dort überhaupt hinkommen, müssen zwei ziemlich anstrengende Dinge erfolgen: Die Bewegung muß raumgreifender werden und die Bauchmuskeln müssen sich anspannen damit sich das Pferd tendenziell in der Oberlinie aufwölbt und in der Unterlinie hohl wird.
Glücklicherweise bedingen sich diese beiden Aspekte, sodaß ein weit nach vorn greifendes Hinterbein automatisch ein Abkippen der Kruppe erfordert, die wiederum am Becken fest zum Übergang in den Rücken dafür sorgt, daß dieser sich hebt. Ein gehobener Rücken ist elastischer und tragfähiger, kommt besser mit dem Reitergewicht zurecht und kann lockerer schwingen.
Da nun der Rücken angehoben ist und dies maßgeblich durch eine abgesenkte Kruppe erreicht wurde, liegt der logische Schluß recht nah, daß auch an der anderen Seite dieser Brückenkonstruktion
(Hinterhand-Pfeiler --- dazwischen brückenartig aufgehängter Rücken --- Vorderhand-Pfeiler) ein tiefliegendes Gegensegment vorhanden sein muß.
Und genau dieses Segment ist nunmal der Hals nebst Kopf.
Der tief getragene Hals ist also ein logisches Nebenprodukt einer Kettenreaktion aus raumgreifendem Hinterbein, abgesenkter Kruppe und angehobenem, schwingendem Rücken.
Soweit die Theorie, die sich übrigens gern mit dem Begriff "von hinten nach vorne" oder "vorwärts-abwärts reiten" pauschalisieren läßt. Leider kann Dir nur kaum jemand erklären wie und wieso das alles funktioniert.
Hilfszügel:
Daß ich jegliche Form von Hilfszügel für überflüssig halte, braucht kaum noch erwähnt zu werden - es gibt für mich auch keinen erkennbaren Grund, weil man so gut wie jede sinnvolle Wirkungsweise dieser Hilfsmittel auch mit einem stinknormalen Trensengebiss (=Snaffle) schaffen kann. Alles, was per Flaschenzug und Hebelkraft das Pferd in eine Zwangsposition drängt, ist nicht von Dauer, weil das Pferd so niemals freiwillig läuft, also nicht überzeugt ist und deshalb permanent mehr oder weniger heftig dagegen arbeiten wird. Frustration ist die eine Folge, Schmerzen und Verspannung die schlimmere.
Konditionierung:
Die Art & Weise, wie das Pferd in der letzten Zeit geritten wurde, hat dazu beigetragen, daß es sich bestimmte Schonhaltungen und Abwehrmechanismen erfunden hat. Oft wird dieser Aspekt zu wenig beachtet, jedoch ist er ein ganz entscheidender Faktor, der den neuen Trainingserfolg bestimmt.
Probier‘s aus: Setz Dich im Stand auf's Pferd, keine Hilfen geben, einfach nichts tun. Dann gib irgendeine leichte Schenkelhilfe, egal was. Nur einfach eine Veränderung der Situation, eine etwas unklare Anforderung ans Pferd. Die meisten Unterhals-Pferde verkrampfen zuerst im Maul und heben dann kurz drauf den Kopf. Wieso? Weil sie schon erwarten, daß jetzt auch noch ein unangenehmer Zügelimpuls kommt, oder sogar die volle Packung mit strammem Gezerre.
Schlimmer wird's, wenn man direkt die Zügel verwendet - egal wie sanft, zuerst kommt wieder die Schutzreaktion Zähne zubeißen und Kopf hoch.
DAS muß Dir als Reiter bewußt werden. (Jedes Pferd hat vielleicht ein anderes Schutzverhalten, aber der Effekt ist immer ähnlich)
Nun besteht der Job des Reiters darin IMMER und 100%ig konsequent freundliche, am besten anfangs wenige, kurz dauernde Zügelhilfen zu geben und dem Pferd zu zeigen, daß es nicht immer nur eins in die Fresse bekommt!
Hierzu sollte man sich zuallermindest einen "sprechenden Spiegel" suchen!
Es muß kein RL sein, sondern nur eine Person, die mit Argusaugen drüber wacht, daß dem Pferd nicht ungewollt und zu fest im Maul gezogen wird.
Schwachstellen sind Richtungswechsel, Richtungskorrekturen und vor allem Gangartwechsel, kurioserweise vor allem beim Wechsel in schnellere Gangarten.
Wieviele Leute ich gesehen habe, die einfach nur aus dem Stand losreiten sollten und dafür erstmal am Zügel gezerrt haben, kann ich nicht mehr zählen! Dasselbe gilt für Trab und Galopp. Im Galopp, wo das Pferd stärker nickt, springen auch ganz viele Pferde bei jedem Galoppsprung fröhlich ins Gebiß rein! Also sucht Euch jemanden, der peinlich genau drauf achtet, daß das Pferd im Maul seine Ruhe bekommt.
Zügelhilfen:
Der Vergleich ist nicht neu, trotzdem halten sich nicht alle dran: Die Zügelhand soll agieren, als wenn sie einen nassen Schwamm ausdrücken würde. In Zeitlupe betrachtet MUSS der erste Kontakt im Pferdemaul IMMER ein freundlicher, sanfter einwiegender Moment sein. So, wie man im Auto nicht plötzlich auf die Bremse trampelt, sondern erst allmählich den Druck erhöht, sollte die Reiterhand auch immer weich beginnen. Nötigenfalls kann man den Druck ja auch noch verstärken, aber IMMER erst sanft ansetzen.
Sobald eine Reaktion des Pferdes kommt, SOFORT und MERKLICH nachgeben! Hier entscheidet der Reiter über Frustration oder Motivation des Pferdes. JEDE Hilfe MUSS eine Reaktion hervorbringen. Ob nun positiv oder negativ, ist erstmal egal, aber es MUSS ein Dialog entstehen.
Du gibst eine Hilfe - das Pferd reagiert - du reagiert SOFORT wieder - das Pferd erkennt den Zusammenhang und lernt daß es einen Sinn macht, ob es zuhört, oder nicht, weil es sich jegliche Druckverstärkung ersparen kann, wenn es frühzeitig genug reagiert und Du zur Belohnung sofort nachgibst.
Dasselbe gilt natürlich auch für die anderen Hilfen.
Nochwas: Eine Hilfe dar NIEMALS lange, statisch andauern, weil
1) sie dem Prinzip von Aktion & Reaktion widerspricht
2) sie folglich an Bedeutung verliert und das Pferd zum Ignorieren ermutigt
3) das Pferd anfangen kann, sich Gegenmaßnahmen einfallen zu lassen.
Am liebsten hab ich 1-2 Sekunden Hilfengebung, gefolgt von 3-6 Sekunden, später so lange wie möglich Zeit der Ruhe ohne Hilfen. Auf diese Weise erziehst Du das Pferd zum selbständigen Wesen, da Deine Hilfen nur noch erinnernde Funktion haben.
Nun zur Praxis:
Das Lehrbuch sagt, man solle fröhlich treiben und vorne am Zügel ein wenig gegenhalten, um auf diese Weise zur gewünschten korrekten Körperhaltung zu gelangen. Und was versteht das Pferd? Ich soll schneller laufen und werde hinten angetrieben und vorne werde ich festgehalten - ja wo soll ich denn bitteschön hin? Kann sich der Reiter mal entscheiden??
Folge: Frustration, komatöses Maul, triebiges Pferd.
Mein Ansatz:
Eine Kombination aus verschiedenen Übungen, die sich permanent abwechseln.
Am liebsten arbeite ich auf dem Zirkel. Es ist ein begrenzter Raum, trotzdem kann man unendlich lange gleichbleibend konstant reiten, ohne die Balance Reitbahnbedingt 8x verändern zu müssen.
(8 Balance-Veränderungen beim Reiten auf ganzer Bahn
1. von lange Seite geradeaus bei Anfang der 1. Kurve
2. bei Anfang der kurzen Seite
3. in zweiter Ecke der kurzen Seite
4. bei Anfang der langen Seite
5-8 dasselbe für die andere kurze Seite)
Ein weiterer Vorteil des Zirkels ist, daß das Pferd von allein nicht sonderlich schnell wird und man es so nicht großartig in seiner Geschwindigkeit drosseln muß.
Traben auf dem Zirkel, Zügel dabei zunächst möglichst lang, also praktisch ohne Funktion.
Nachdem das Grundtempo erreicht wurde und das Pferd gleichbleibend schnell ist, der Takt (zumindest soweit brauchbar) vorhanden ist, wird ein Helfer nachsehen, wieviel Aktion aus der Hinterhand erfolgt. Um nun die Hinterhandaktion so zu verstärken, daß das Pferd auch noch Sinn in der anstrengenden Übung sieht, erhöht man einfach nur das Tempo: Mehr Tempo => mehr Bein-Aktion => Kuppe senkt sich, Rücken wölbt sich, Hals fällt.
Leider klappt das nicht immer, weil viele Pferde perfekt schlecht laufen und den Kopf trotzdem hoch tragen.
Hier kommt der zweite Teil der Übung: Innerhalb des gerittenen Zirkels baut man 3-5 KLEINE Volten ein! Ich lege großen Wert auf kleine Volten (4-7 Meter Durchmesser, auf jeden Fall nie bis zum Zirkelmittelpunkt), damit sie ihren Trainingseffekt auch erzielen.
1) um diesen kleinen Kreis zu schaffen, muß das Pferd langsamer laufen. Man braucht es also nicht selber zu bremsen, denn es sieht ja selbt einen Sinn im Drosseln der Geschwindigkeit.
2) Ist der Kreis wirklich so klein wie beschrieben, wird vom Pferd viel Balance verlangt. Hierzu ist Aufmerksamkeit zwingend erforderlich, es muß genau gucken wohin es laufen soll und wird aus diesen beiden Gründen schonwieder den Kopf lieber tief tragen, um das alles besser bewerkstelligen zu können.
3) Damit es nicht umfällt, nimmt das Pferd nicht nur den Kopf tief, es stützt sich auch automatisch mit der inneren Hinterhand tief unterm Bauch ab. Somit geht wieder die Kettenreaktion durch den Rücken.
All das passiert nur mit kurzen freundlichen Zügelimpulsen innen, einem leicht konstant und tief anliegenden äußeren Zügel zur Begrenzung. Außen bitte nicht zerren oder damit die Geschwindikeit töten! Laß das Pferd selber entscheiden, wo es mit seinem Hals hinwill und es wird schnell merken, daß nur ein tiefer Kopf solche engen Biegungen überhaupt ermöglicht. Somit ist es die "Erfindung" Deines Pferdes, den Kopf zu senken und nicht das Ergebnis von irgendwelchem Gezerre.
Dritter Teil der Gesamtübung: Kombination aus Zirkel, kleiner Innenvolte und "aus der Volte wechseln" in eine kleine Außenvolte, danach wieder am loseren Zügel ein paar Meter auf dem Zirkel traben und Geschwindigkeit aufbauen.
Durch die Kombination aus Innen- und Außenvolte bringt man das Pferd dazu, sich auf der neuen Hand auszubalancieren. Dies wird anfangs am Wechselpunkt fast immer mit Hochreißen des Kopfes einhergehen. Das ist nicht schön, aber NICHT SCHLIMM! Im Gegenteil: Das Pferd hat in kurzer Zeit die Wahl zwischen alter Krampfhaltung und Wunschhaltung, um die engen Biegungen zu schaffen. Irgendwann wird es merken, daß das Hochreißen des Kopfes rein garnichts bringt und den Kopf allmählich immer weniger heben bzw irgendwann einfach tief lassen.
Beim Voltenwechsel bitte zuerst den neuen inneren Schenkel mittig anlegen, um das Pferd zu stützen und vorzubereiten. Erst dann, einen Schritt später die Zügelführung umstellen. SANFT, nicht reißend sondern so, als ob Du Wasser aus einem Glas ins andere gießen willst.
Zum Lockern auch immer malwieder alles loslassen und ganze Bahn laufen lassen oder eine kurze Pausensequenz im Lockerungsgalopp am losen Zügel einbauen.
So, das war jetzt mal ein kleiner Anfang und mein ziemlich erfolgreicher Ansatz für Pferde mit stumpfem Maul, wenig Reaktionsverhalten und falscher Körperhaltung.
Vielleicht hilft's Dir oder sicherlich noch anderen Leuten hier!
Übrigens mache ich die Übungen gleichermaßen mit meinen Western- oder Dressurreitschülern.
VLG
Horsi
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